Fachkräftemangel. Fachkräftediskriminierung. Ü50 und ohne Job.
Fachkräftemangel, dieses Thema lässt alle, die sich neu orientieren möchten und vielleicht sogar eine Umschulung ins Auge fassen, hoffen. Auf eine kurze Jobsuche. Auf neue Perspektiven. Auf ein Willkom-mensein. Doch die Realität zeigt sich anders. Wer über 50 Jahre alt ist, hat es trotzdem schwer, wie die Praxis zeigt. Ein Einblick in Tatsachen und Perspektiven.
"Ich habe über 100 Bewerbungen in einem Jahr geschrieben und mich nur einmal vorstellen können.", erzählt mir ein 50-jähriger Mann. Eine andere, etwas ältere Person, nennt gar 200 Bewerbungen. Beide erzählen von ernüchternden Kontakten und Gesprächen. Auch einfache Jobs wie Securitas waren nicht möglich. "Sie sind zu alt." In Personalvermittlungsbüros wurden sie abschätzig behandelt. "Nicht vermittelbar." so das Fazit.
"Dabei dachte ich, dass Fachkräftemangel herrscht. Ich kann es einfach nicht glauben."
sagt ein in der SRF-Sendung "Altersdiskriminierung trotz Fachkräftemangel?" gut ausgebildeter Coach mit Executive Master. Er spricht nach über einem Jahr erfolglosen Suchens von Fachkräftediskriminierung. Diese Erlebnisse sind sehr entmutigend und Berichte über Fachkräftemangel in den Medien machen Betroffene extrem wütend. Zu Recht!
Was kann man tun? Gibt es überhaupt Ansätze und motivierende Möglichkeiten? Zum Beispiel im Gesundheitswesen?
Kein Abweichen vom Wunschprofil. Muss der Bund handeln?
Es erstaunt, dass Unternehmen oft nicht bereit sind, ihre Anforderungen anzupassen. Es muss zu 100 Prozent stimmen. Unser jobsuchender Coach in der SRF-Sendung wünscht darum seitens des Bundes Massnahmen, um die Chancen für Ü50-Menschen im Arbeitsmarkt zu erhöhen. Solchen Massnahmen stehen Unternehmen kritisch gegenüber. Sie seien ein Eingriff in unternehmerische Tätigkeiten.
Seit dem 1. Januar 2020 sind Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, offene Stellen in Berufsarten mit schweizweit mindestens 5 Prozent Arbeitslosigkeit dem RAV zu melden.
Ein RAV-Mitarbeiter erzählte mir vor einiger Zeit, dass dank dieser Massnahme schon einige Ü50, ja sogar Ü60-Menschen, wieder eine Arbeit gefunden hätten. Das stimmt einen doch zuversichtlich.
Welche Faktoren haben noch einen Einfluss
Gute Qualifikationen haben einen positiven Einfluss bei der Stellensuche.
Doch bei Ü50-Menschen spielen noch weitere Faktoren mit.
- Das persönliche soziale Netzwerk. Oft finden diese Menschen über persönliche Beziehungen eine Anstellung. Das jedoch erfordert den Mut, über die eigene Situation zu sprechen. Dies ist mit vielen Schamgefühlen verbunden, die nicht leicht zu überwinden sind.
- Soziale Netzwerke wie Linkedin. Wer aktiv ist, bei spezifischen Themen mitdiskutiert und neue Ideen einbringt, steigert seine Chancen auf eine Anstellung.
Es ist wie ein Gestalten des eigenen Images. Ein Einflussnehmen, was andere - mögliche zukünftige Arbeitgeber - über mich denken und wie sie mich online oder offline wahrnehmen. Signalisieren: "Ich bin dabei!". Linkedin ist auch eine Fundgrube für Headhunter. Diese suchen in erster Linie dort nach qualifizierten Fachkräften.
Sich präsentieren. Interessen signalisieren. Einzigartigkeit aufzeigen. Linkedin bedeutet anhaltende Arbeit!
Wer nicht in sozialen Medien wie Linkedin dabei ist, wer kein persönliches soziales Umfeld hat, der hat es als Ü50 schwerer, einen Job zu finden.
Aufstehen. Hinausgehen. (Lern)Bereitschaft zeigen. Und ja, dieser Weg braucht viel Geduld und eine dicke Haut. Doch ist nichts tun Können nicht viel schlimmer? Damit ist natürlich nicht gemeint, sich einfach zu bewerben, damit man etwas getan hat. Mit der Zeit läuft das automatisiert ab und der ganze Prozess wird noch schlimmer.
Im Grunde genommen ist es bei der Jobsuche von Menschen über 50 wie in der Naturfotografie:
Gute Bilder schiesst man nicht in der warmen Wohnstube, sondern dort, wo sich die Zielobjekte aufhalten, und das bei jeder Witterung.
Manchmal kommt man mit unzähligen Bildern nach Hause und keines davon überzeugt einen. Es braucht Auseinandersetzung mit dem Zielobjekt. Und es braucht Ausdauer. Es gibt Tage, da gelingt einem ein wirklich gutes Foto. Man war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Situation im Gesundheitswesen
Ob man als Ü50 noch eine Stelle im Gesundheitswesen findet, hängt sehr oft von der Bereitschaft des angehenden Arbeitgebers ab.
Ist das Team des möglichen Arbeitgebers bereit, WiedereinsteigerInnen aufzunehmen und zu begleiten?
Bei hohem Arbeitsanfall und knappem Personalbestand ist das nicht immer einfach. Bei einem Quereinstieg wird es noch etwas schwieriger. Im Gesundheitswesen hat man es mit verletzten oder kranken Menschen zu tun. Eine medizinische Ausbildung ist darum sehr wichtig. Um herauszufinden, ob mit 50plus noch eine Chance besteht, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich bei den entsprechenden Stellen zu erkundigen. Oft hilft auch der Lehrgang Pflegehelfer/-in SRK (PH SRK) als Einstieg. Insbesondere bei Altersheimen. Auch wenn der Einstieg vielleicht vorerst nur stundenweise und vielleicht sogar nur für Nachtdienste angeboten wird.
Unterstützende professionelle Beratung
arbeit.swiss bietet professionelle Unterstützung in Form von spezifischer Beratung und Angebote, um die berufliche Wiedereingliederung von Stellensuchenden 50plus zu fördern. Zudem können Personen ab 55 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen die Leistungen der ALV länger in Anspruch nehmen. Hinter Arbeit.swiss steckt das Staatsekretariat für Wirtschaft, Direktion für Arbeit (SECO), Bereich Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung.
Balance unterstützen
Wer über 50 Jahre alt ist, braucht länger, um einen Job zu finden. Das ist die Regel. In dieser grossen Herausforderung gilt es, neben den vielen Aufgaben auch den Möglichkeiten auf die Spur zu kommen. Es geht darum, auch sich selbst Sorge zu tragen. Die Balance zwischen Investition und ausgleichenden Tätigkeiten muss stimmen. Ein leerer Tank ist bei jedem Vorstellungsgespräch spürbar. Ein voller auch.
Wir leben und signalisieren das, woran wir glauben. Wenn wir uns selbst eine Chance geben, tun es auch andere eher.