Corona-Pandemie: Psychische Probleme als Folge
Der Lockdown ist bereits ein paar Monate her. In der Zwischenzeit wurde viel spekuliert und diskutiert. Der Fokus der Berichterstattung in den Medien liegt nach wie vor stark auf Corona. Auf Prävention, Heilungsmöglichkeiten, auf wirtschaftlichen Folgen und möglichen Ansteckungsweisen. Das kann mit der Zeit zermürben. Bei vielen Menschen nehmen psychische Probleme zu.
Wie stabil ist unsere Gesellschaft? Vor Corona schien vieles so selbstverständlich. Die Schweizer Wirtschaft florierte. Wir waren uneingeschränkt mobil. Klar gab es Diskussionen wegen des Klimas. Oder wegen Menschenrechten. Doch das war irgendwie weit weg. Dann kam Corona. Ein kleiner Virus mit krassen Auswirkungen. Auf einmal soziale Distanz, Grillpartys in Gefahr, Eingesperrtsein, Angst vor Jobverlust, Blick in eine völlig unsichere Zukunft. Unsere Sicherheit erweist sich als Luftblase. Woran können wir uns orientieren und wie können wir mit diesem luftleeren Raum umgehen?
Zunahme von psychischen Problemen
Wie bei vielen Herausforderungen war es auch bei Covid-19: Nimmt uns ein Thema zu stark ein, fehlt uns die nötige Distanz. Wir verlieren wichtige Zusammenhänge und deren Auswirkungen aus dem Blickfeld. Fehlen uns wichtige Informationen, haben wir keine oder nur wenig Erfahrungszahlen und müssen uns mit zahlreichen Wahrscheinlichkeitsformen abgeben, läuft unsere Psyche zur Hochform auf.
Der Mensch hat die Fähigkeit, Krisen körperlich und psychisch «wie echt zu fühlen», auch wenn die Wirklichkeit etwas anderes beweist. Somit fallen Fakenews und Verschwörungstheorien auf fruchtbaren Boden und die Unsicherheit nimmt noch weiter zu.
Angst wird zur Lupe, die die Schwierigkeiten noch vergrössert. Das kostet viel Kraft. Die Folge: Psychische Probleme nehmen zu. Das Gemeine daran ist, dass dies lange im Geheimen geschieht. Leise und unbemerkt.
Was wir nicht öffentlich und deutlich wahrnehmen, ist auch nicht «würdig», in den Medien entsprechend thematisiert zu werden.
Kraftlosigkeit, Angst, Scham - all das ist nicht erwünscht. Also behält man es besser für sich. Doch manchmal spricht unsere Psyche genau diese Sprache. Ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen. Und das zu Recht.
Psychologen warnen vor den Folgen von Corona
Schweizerinnen und Schweizer haben den Lockdown nicht bloss locker hingenommen. Angst, Alkohol, Zwänge und vieles mehr haben sich ausgebreitet. So melden Psychologen eine starke Zunahme an Arbeitsbelastung. Im Artikel «Psychologen warnen: Corona macht uns verrückt» (Blick 28.8.2020) wird Marc Stutz, Leiter der Kommunikation der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zitiert: «Nach dem Ende des Lockdowns war ein Patientenanstieg klar festzustellen.» Heute verzeichnet man «einen Zuwachs bei Patienten mit Depressionen und Manien». Das sei zu erwarten gewesen. Auch die Apotheken-Rundschau weist auf Folgen von Corona hin: Die Corona-Pandemie, ihre Dauer und Folgen sind schwer einschätzbar, was in der Bevölkerung diffuse ängste weckt.
Das Verrückte ist, dass mit einigen Corona-Massnahmen unsere Abwehr eher geschwächt wurde.
Bewegung, Sonne, frische Luft und soziales Wohlbefinden sind nicht zu unterschätzende Faktoren, die eine gute Gesundheit fördern.
Abstand gewinnen durch Aufgaben und Strukturen
Menschen brauchen Aufgaben und Strukturen. So wertvoll unser Denken mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten ist, dann und wann braucht es Ruhe und Abstand, um Situationen neu beurteilen zu können. Darum sind gewisse Aufgaben und geordnete Verhältnisse sehr wichtig. Ein abendlicher Spaziergang, ein spannendes Buch, Joggen und vieles mehr.
Tätigkeiten helfen, Abstand vor gedanklichen Bedrohungen zu gewinnen und geben Stabilität. Und noch viel wichtiger: Sie fördern besonnenes Verhalten.
Wie stabil ist eine Gesellschaft?
Eine multikulturelle Gesellschaft wie die der Schweiz zu führen, ist extrem schwierig. Ereignisse wie die Corona-Pandemie haben die meisten von uns noch nie erlebt. Darum gibt es in der Beurteilung der Massnahmen auch kein explizites Richtig oder Falsch.
Es geht darum, einen Weg zu finden, ihn so gut wie möglich zu gehen und all die damit verbundenen Spannungen auszuhalten.
Wie stabil ist eine Gesellschaft? So stabil wie die Psyche der einzelnen Mitglieder. In schwierigen Zeiten lässt sich Verantwortung nicht abdelegieren. Wir alle sind gefragt. Es liegt an uns, manchmal Massnahmen mitzutragen, die unsere persönliche Freiheit einschränken oder Gewohnheiten und Ernährung so gut wie möglich anzupassen, damit unser Abwehrsystem möglichst gut funktioniert.
Jede umgesetzte Massnahme und jede Rücksichtnahme auf andere stärkt die Gesellschaft. In der jetzigen Situation wird deutlich, wie vernetzt alles ist und dass wir schlussendlich alle voneinander abhängig sind. Egoismus hat darum keinen Platz.
22.9.2020, Andreas Räber, GPI®-Coach, Wetzikon